Walhaie sind nun wirklich keine geeigneten Aquarienbewohner und dennoch sollten sie unser erstes Ziel auf der Expedition Indischer Ozean sein. Da sie zu unserem Reisezeitpunkt wegen der Planktonblüte in der Region waren, hatten wir sie als „Hailight“ in das Programm aufgenommen. Denn ich glaube, dass es niemanden gibt, der nicht einmal einen der friedlichen Riesen im Meer erleben möchte. Die Region um Nosy Be, im Nordwesten Madagaskars ist im Oktober bis November für seine Walhaie bekannt. Sie folgen auf ihren Wanderungen dem Plankton und so kommen sie in die recht ruhigen Gewässer an der Nordwestspitze von Madagaskar.
Morgens geht es mit maximal acht Personen pro Boot raus auf die offene See. Nun wird Ausschau nach auffälligen Ansammlungen von Seevögeln über der Wasseroberfläche gehalten. Sobald sich Seevögel an einer Stelle sammeln, wird dieser Ort angesteuert. Je näher wir kommen, desto mehr erkennt man das brodelnde Meer. Kleine Fische und Plankton werden von oben von den Vögeln attackiert, von unten schnellen Makrelen und Thunfische in den immer kleiner werdenden Fischschwarm und dann kommt auch noch der Walhai, der dem Jagen ein Ende macht. Der Walhai ist so dicht unter der Wasseroberfläche, dass man seine Schwanzflosse gut außerhalb des Wassers sehen kann. Seine Schwimmrichtung wird eingeschätzt, und wir lassen uns so schnell und ruhig wie möglich in das Wasser gleiten. Wir sehen noch die letzten Fische in den Mäulern der Makrelen verschwinden und dann entdecken wir den Walhai: In etwas größerer Entfernung ist er, obwohl er um die sieben Meter misst, schwer auszumachen. Sein Punktemuster auf dem wasserblauen Körper lässt seine Kontur mit dem tiefen Blau des Freiwassers verschwimmen. Erst als er direkt auf uns zuschwimmt, ist die Größe des friedlichen Riesen auszumachen. Wow – wir müssen aufpassen, dass wir mit staunenden und offenen Mündern kein Wasser schlucken. Welch ein schöner und eindrucksvoller Anblick! Der Walhai lässt sich durch uns nicht wirklich stören und zieht gemütlich seine Bahn. Einige von uns versuchen ihm mit kraftvollen Schlägen ihrer Schwimmflossen zu folgen – aber keine Chance. Ein langsamer Walhai ist immer noch schneller als ein Schnorchler. Aber die kurze Minute oder Minuten der Begegnung sind überwältigend. Man fühlt sich klein im unendlichen Blau des Meeres und bewundert den Riesen, wie er durch dieses kleine Futter satt wird. Langsam bzw. schnell entschwindet er aus unseren Augen und taucht ab. Nach nur 20 bis 30 Metern Entfernung ist er trotz des sehr klaren Wassers kaum noch zu erkennen. Wir schwimmen wieder zurück zum Boot und suchen nach dem nächsten Vogelschwarm über der Wasseroberfläche.
Die Beobachtungen der Walhaie lehrten uns mehrere Dinge: Walhaie finden selbst in dem unendlich scheinenden Freiwasser des Meeres gezielt die Fischansammlungen – allerdings oft in Kooperation mit anderen Fischen und auch den Seevögeln. Plankton muss nicht klein sein: Der größte Planktonorganismus des Meeres ist der Venusgürtel, eine Rippenquallenart mit bis zu eineinhalb Metern Länge. Plankton ist nicht über die Größe definiert, sondern über seine Fortbewegung. Planktonorganismen sind die Tiere, die sich nicht aktiv gegen Meeresströmungen fortbewegen können. Wir lernten bei der Gelegenheit auch gleich, dass sehr viele Planktonorganismen stark nesseln können. Einige unserer Teilnehmer trugen nur Badehose und wurden stark an Armen und Beinen vernesselt. Sie sahen dann aus wie bei einer heftigen Scharlachinfektion. Und wir lernten auch, dass die „planktonfressenden“ Walhaie ganz gezielt Fische fressen. Und Fische gehören nun definitiv nicht zum Plankton. Sie jagen eben nur nicht einzelne Fische wie ihre zähnetragenden Verwandten, sondern schlürfen die Kleinfische mit ihrem riesigen Maul wie Fischsuppe.
Im zweiten Teil geht es um die Korallenriffe bei Madagaskar: JBL Expedition Indischer Ozean: Teil 2 – Die Korallenriffe bei Madagaskar